Ich muss gestehen – der Grund, warum ich mich hier angemeldet habe, ist es, dass mich die ganze Scheiße so langsam von innen heraus auffrisst und ich mir dringend Luft machen muss.
Natürlich nehme ich meine Sorgen jeden Tag, jede Sekunde und jede Minute mit. Würde es nur um mich gehen, wäre das auch für mich kein Problem – dem ist aber nicht so.
Der Anfang der Pandemie war schon klasse. Ich kümmere mich beruflich um etwa 100 Leute, die zur Hochrisikogruppe gehören – ich selbst bin Asthmatiker. Respiratorische Symptome habe ich über viele Monate im Jahr. Aber konnte man sich am Anfang der Pandemie testen lassen? NEIN! Test bekamen nur Leute, die nachweislich Kontakt mit infizierten hatten oder vorher in einem Risikogebiet waren. Was macht man also? Man achtet auf irgendwelche Symptome, die nicht der eigenen Grunderkrankung entsprechen (auch wenn die nur leicht sind). Als ich dann zusätzlich zu meinen normalen Problemen leichte Halsschmerzen bekommen habe, musste ich dann zwei Wochen vorsorglich zu Hause bleiben. Aber bekam man dann als Pflegekraft einen Test? NEIN!
Endlich! Am Ende der zwei Wochen konnten sich dann Pflegekräfte mit Symptomen Testen lassen. Das habe ich natürlich sofort machen lassen. Was passierte? Ein Verwandter, der mit mir im Haus lebt, schreit mich auf der Treppe an, dass ich ein totaler Egoist sei! Wenn ich positiv getestet würde, würde es für alle anderen im Haus Probleme bei der Arbeit geben – weil die dann in Quarantäne müssten. Mir viel die Kinnlade runter und weiß bis heute nicht, was ich jetzt zu so einem Argument sagen soll...
Der Test war zum Glück negativ – ein Glück. Pflegekräfte konnten sich ja jetzt testen lassen. Ich denke: "Jetzt wird dann alles besser."
Von wegen! Leider fielen die Pflegebedürftigen aus den RKI Richtlinien für Tests noch raus. Die waren zwar (von der Einrichtung her) bei Symptomen sofort in Quarantäne, bekamen aber keine Tests! Und zu absolut jedem von denen gehe ich als Fachkraft hin.
Die Schutzkleidung ist dabei so, dass sie zwar die Weiterverbreitung hemmt oder im besten Fall unterbindet, für mich aber keinen großen oder kompletten Schutz darstellt (lieber Herrgott sei Dank, dass wir zumindest das an Ausrüstung haben). Problem ist meine Frau. Die hat COPD. Ob ich der vielleicht den Tod mitbringe, ist jeden Tag wieder ein großes Fragezeichen. Ein ganz großes Fragezeichen. Respiratorische Symptome habe ich wegen meines Asthmas weiterhin. Lasse ich mich einmal zu wenig testen und es läuft schlecht, bin ich eventuell wegen fahrlässiger Tötung dran. Aber was soll's, das ist eben so. Alle 4 Tage kann ich auch nicht zum Testen rennen.
Vor kurzem gab es Reihentests für Pflegekräfte in meinem Landkreis. Etwa 5000 Kräfte zu testen, hat mehrere Monate gedauert. Der Landkreis prahlte mit einem guten Ergebnis – nur etwas mehr als 10 Pflegekräfte waren infiziert (wir sind in der Pflege in der Regel vorsichtig). Mein Landkreis sieht deshalb bislang keine Veranlassung, Pflegekräfte regelmäßig testen zu lassen - sind ja nur etwa 10 gewesen.
Um es genau zu sagen - 10 infizierte bedeuten, wenn man sie nicht entdeckt, bis zu 20 Tote in jeder Einrichtung, in der jeder von ihnen arbeitet!
Oh man – jetzt kommt der Herbst und Grippe und Erkältung dazu. Oh man. Bislang hatte wir in unserer Einrichtung Glück, anders als in einer anderen Einrichtung in der Nähe. Da gab es bislang 25 Tote. Wie viel Glück kann man haben, wenn 20000 Menschen ohne Schutz und Abstand auf die Straße gehen und meinen verbreiten zu müssen, dass Covid-19 gar nicht existiert? Ich würde unheimlich gerne jeden von denen zu meinem Kollegen schicken. Der arbeitete bis vor kurzem auf einer Covid-19 Station und hat unter anderem die 25 sterben sehen, von denen ich oben gesprochen habe.
Ob ich mir Sorgen mache? Natürlich, jeden Tag mache ich mir Sorgen, dass das verdammte Glück, dass ich bis jetzt hatte, eventuell nicht bis nach dem Frühjahr 2021 reicht.